Mit schwesterlichen Gruessen

Berlin, den 8. Mai 1988
Liebe Schwester,

Du hast Dich zu einem sechswoechigen Selbstverteidigungs-Fernlehrgang ange-
meldet. Dies ist der erste von sechs Briefen. In jedem Brief werden wir Dir
fuer die darauffolgende Woche bestimmte Aufgaben stellen. Fuer den Erfolg
des Lehrgangs ist es unbedingt erforderlich, dass Du unsere Anweisungen be-
folgst. Hier sind Deine Anweisungen fuer die erste Woche:
Nimm Dir zwei, drei Illustrierte vor, am besten die letzten Nummern des
STERN oder SPIEGEL, und reiss alle Abbildungen heraus, auf denen Maenner zu
sehen sind. Suche Dir zehn Maenner haraus, die Du auf Anhieb am abstossend-
sten findest. Haeng Dir diese Figuren gut sichtbar an eine Wand neben Dein
Bett und sieh ihnen jeden Morgen und jeden Abend fest in die Augen. Erfinde
ein unterschiedliches Schimpfwort fuer jeden einzelnen. Sprich jeden Mann
mindestens zweimal taeglich mit dem Schimpfwort an, das Du Dir fuer ihn
ausgedacht hast. Steigere dabei Deine Lautstaerke, bis Du laut schreist.
 
 
 
 

Berlin, den 15. Mai 1988
Liebe Schwester,

den ersten Teil des Lehrgangs hast Du mit Bravour hinter Dich gebracht. In
der Benennung der Maenner warst Du direkt und schoepferisch.
"Du Schwein, du Sau, du Ekel" sind zwar bekannt, aber wirkungsvoll.
"Schlapps******, s******f*****, Widerling, Dickmops, Versager, Null" sind
schoepferisch, jedoch weniger direkt.
Das haben wir uns fuer die zweite Woche fuer Dich ausgedacht: Du siehst
Deinen Figuren nach wie vor mindestens zweimal taeglich fest in die Augen
und beschimpfst sie laut. Deine Beschimpfungen machst Du etwas lebendiger,
indem Du sie mit Adjektiven anreicherst. Also nicht nur "du Schwein" son-
dern "du widerliches Schwein". Du faehrst fort mit "dich sollte frau doch"
oder "dir sollte frau doch", zum Beispiel "die Eier abschneiden". Vergiss
nicht, diese Drohungen laut herauszuschreien.
 
 
 

Berlin, den 22. Mai 1988
Liebe Schwester,

dies ist nun schon der dritte Brief, und wir sind recht zufrieden mit Dir.
"Du elendes Schwein, dich sollte frau lebendigen Leibes mit einem rostigen
Messer kastrieren" hat uns sehr gut gefallen, ebenso wie "du mieser kleiner
*** Mensch ***f*****, dir sollte Frau dein Rohr einbetonieren". Merkst
Du eigentlich
schon, wie Du Dich durch unser Programm veraenderst, wie Du mutiger wirst?
Aber wir wollen uns nicht mit dem bisher erreichten zufriedengeben, und
weiter geht's. Das steht fuer Dich auf dem Programm der kommenden Woche:
Mach Fotokopien von den Widerlingen, die bei Dir neben dem Bett haengen,
und kleb sie auf Styroportafeln. Tapezier Dir jetzt eine ganze Wand,
mindestens jedoch eine Flaeche von zwei mal ein Meter fuenfzig, voll mit
den Bildern Deiner Lieblingsekel. Waehl Dir aus allen Abbildungen Dein Su-
perekel und behandle es gebuehrend. Mit Filzstiften kannst Du es verschoe-
nern, indem Du Kreise um Teile seines Koerpers oder Gesichts ziehst. Jetzt
pack Dir Dein Ekel. Kauf Dir ein paar Wurfpfeile und versuche, sie genau in
die Kreise zu plazieren. Schrei laut bei jedem Pfeil, den Du dem Ekel ent-
gegenwirfst, was Du ihm antun wirst. In der Art von "du widerlicher Verge-
waltiger du, dir werde ich mit meinem Pfeil deine dreckigen Hoden durchboh-
ren". Verbringe mit diesem Spielchen mindestens eine halbe Stunde pro Tag.
 
 

Berlin, den 29. Mai 1988
Liebe Schwester,

ja, so ist es richtig. Langsam kommst Du in Fahrt. Diese Widerlinge haben
bei Dir nichts mehr zu lachen. Gut so. Uebrigens hast Du schon die Haelfte
des Kurses hinter Dir. Also, pass gut auf, was Dir die naechste Woche
bringt. Besorg Dir einen Sack aus dickem, festen Stoff. Den bekommst Du in
jedem Waeschegeschaeft. Pack ihn voll mit alten Klamotten, wie zum Beispiel
ausrangierten Kleidungsstuecken, alten Decken und aehnlichem. Wenn er voll
ist, mach ihn gut zu und befestige ihn an einer dicken Schnur am Tuerrahmen
Deines Schlafzimmers. Er soll frei baumeln koennen. Das reicht eigentlich
schon, aber besser ist es, wenn Du Dir einen Eimer Kleister anruehrst und
die Fotokopien Deines Superekels auf den Sack pappst. Sobald der Kleister
getrocknet ist, darfst Du Dich auf den Sack stuerzen. Bearbeite ihn mit
Haenden und Fuessen, sooft Du Lust dazu hast, mindestens jedoch eine Stunde
pro Tag. Schrei dem Widerling dabei die Schimpfworte entgegen, die Du bis-
her gelernt hast. Hoffentlich wohnst Du in keinem Neubau.
 
 
 

Berlin, den 5. Juni 1988
Liebe Schwester,

Dein Paket mit den seltsamen Fleischschnipseln haben wir sofort nach Erhalt
an unsere Katzen verfuettert. Du bist nicht die erste, bei der unser Kurs
voll eingeschlagen hat, und langsam wird uns der Boden hier in Berlin etwas
zu heiss. Sobald die Geschaefte abgewickelt sind, hoffen wir, in waermere
Gegenden umziehen zu koennen.
Wenn Du uns einen Gefallen tun willst, dann erinnere alle Frauen, die Du
kennst und die in letzter Zeit den Kurs bei uns gemacht haben, daran, dass
wir das Geld schnellstens brauchen. Denn bisher hat uns allein die schlam-
pige Zahlungsmoral unserer Kundinnen noch hier gehalten.
Wir fordern Dich nachdruecklich auf, jeden weiteren Kontakt mit uns einzu-
stellen.

Mit schwesterlichen Gruessen